Vor einigen Wochen ist der Mobile World Congress 2010 in Barcelona zu Ende gegangen und hat die aktuellen dramatischen Umwälzungen in der Mobilfunkbranche deutlich gemacht. Eric Smith, CEO von google, hat für seinen Konzern die Devise „Mobile First“ ausgegeben, Nokia präsentierte eine neue Software-Allianz mit Intel, Skype macht gemeinsame Sache mit Verizon, an den Ständen von Samsung oder HTC waren fast nur noch Smartphones mit großen Touchdisplays zu sehen und die Netzbetreiber fürchten immer mehr zu einer dummen „Datenpipe“ abgestempelt zu werden. Folgende Umwälzungen werden das mobile Internet in den nächsten Jahren prägen und unseren Alltag verändern:
1. Standardisierung von mobilen Basistechnologien
Bei den Betriebssystemen werden Android von google, Phone 7 von Microsoft, Symbian, das iPhone OS von Apple, RIM und das Linux-basierte neue MeeGo von Nokia und Intel den Markt unter sich aufteilen. Spannender wird es bei den direkten Laufzeitumgebungen für Applikationen oder für Spiele. Derzeit starten sowohl Netzbetreiber, Gerätehersteller als auch Softwarehersteller eigene App Stores mit separaten SDKs, APIs und Entwicklerverträgen, was den Markt sehr unübersichtlich macht. Dieser Trend wird sich schon in diesem Jahr in Richtung browserbasierter Anwendungen wandeln, da Android schon in Kürze das vollwertige Flash 10.1. unterstützen wird, ein mobiles Adobe Air sich für Q3 2010 ankündigt und auch Opera oder Firefox in ihren mobilen Browsers beispielsweise komplexe Videoanwendungen mit HTML 5 und CSS unterstützen werden. Weitere Standardisierungen und Sicherheitsvorgaben z.B. hinsichtlich des Zugriffs auf die nativen Funktionen des Mobiltelefons werden u.a. seitens des W3C folgen. Vielleicht wird es auch eine Art „OpenAPI“ bzw. standardisierte Programmierschnittstelle geben, die den Softwareentwicklern das Leben einfacher machen wird, was jedoch das grafische Problem der Vielzahl unterschiedlicher Bildschirmauflösungen nur zum Teil lösen wird.
2. Datenengpässe bei den mobilen Durchsatzraten
Die Smartphone-Verkaufszahlen wachsen aktuell rund 30% je Quartal und machen insgesamt bereits einen Anteil von rund 16% am Weltmarkt aus. Gartner sagt voraus, dass es bereits 2013 rund 1,82 Milliarden Smartphones geben wird und damit mehr internetfähige Handys im Markt als PCs. Die Internetnutzung von Smartphone-Nutzern ist laut Comscore mehr als das fünf-fache höher als bei Nicht-Smartphone-Nutzern. Daraus ergibt sich in den nächsten Jahren ein dramatischer Anstieg an Datenvolumen, der nur über neue Netztechnologien wie 4G bzw. LTE und große Investitionen in die Infrastruktur abgefedert werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob die aktuellen Netzbetreiber, wie beispielsweise T-Mobile, Vodafone oder Téléfonica diese Investitionshürden nehmen und genügend eigene Geschäftsmodelle für die Gegenfinanzierung auf die Beine stellen. Notfalls werden die Softwaregiganten wie google oder Microsoft in den Netzbetrieb vordringen müssen. Erste Experimente von google mit einem 1 gigabit Breitbandinternet laufen bereits.
3. Technischer Minimalismus in China, Indien und Afrika
Im Gegensatz zu den Konsum- und Entertainment-Trends in der westlichen Welt, werden sich in den nächsten Jahren vor allem die gigantischen Märkte in China, Indien und Afrika rasant entwickeln. Hier werden günstige Endgeräte mit bezahlbaren Sprachtarifen, mobilen Bezahlfunktionen, SMS und rudimentäre Internetzugänge erstmals auch die Landbevölkerung erreichen. Airtel in Indien kooperiert zu diesem Zweck gar mit einem Düngemittelhersteller. Eine bessere Vernetzung und der Zugang zu weltweiten Nachrichten wird bei bisher wenig bis gar nicht gebildeten Bevölkerungsschichten einen riesigen Informationssprung auslösen, der große Chancen aber auch die Gefahr von Unruhen mit sich bringen wird. Vor diesem Hintergrund erscheint die vorgestellte mobile Minimalvariante „Zero“ des weltweit führenden sozialen Netzwerks Facebook sehr clever.
4. Bezahlung wird mobil
Die sicherlich größten Umsatzpotentiale für Netzbetreiber schlummern in der Nutzung der bestehenden Kundendaten und Abrechnungsbeziehungen gegenüber den Endkunden, um Dritten einfache Bezahlservices anzubieten. In den nächsten Jahren schon werden wir mit dem Handy über RFID-Chips, Paypal, SMS oder Anrufe unsere Einkäufe im Supermarkt oder Bahntickets bezahlen. Die Beträge werden bequem über unsere Handyrechnung oder Paypal abgebucht werden, wie man es aktuell bereits in den USA, Süd Korea oder Japan beobachten kann.
5. Spiele werden mobil
Browserbasierte Spiele mit tausenden von Mitspielern erobern derzeit das Internet und werden sich in den nächsten Jahren auch mobil ausbreiten. Vor allem Teenager werden einen Großteil ihrer Freizeit oder den Weg zur Schule für mobiles Spielen nutzen.
6. Persönliche und geschäftliche Netzwerke werden mobil
Die mit Abstand höchsten Nutzungsraten zeigen heute bereits soziale Netzwerke auf dem Handy, wie Facebook, Flickr, Youtube oder Twitter. Auch die „Non-Digital-Natives“ werden das Bedürfnis weiter ausbauen, ständig Neuigkeiten von Verwandten, Freunden oder Geschäftspartnern zu erfahren. Der Anstieg der Kommunikationsintervalle wird dabei nicht nur die „Timelines“ der Netzwerk-Plattformen selber betreffen, sondern auch Sprachanrufe, Chats, Email oder SMS.
7. Voice / Video over Internet Protocol (VoIP)
Kameras gehören bei Smartphones zur Standardausstattung und kein elektronisches Gerät hat jemals zuvor die Menschen 24 Stunden am Tag begleitet. Insofern liegt es nahe, dass wir in Zukunft unsere Freizeiterlebnisse oder geschäftlichen Telefonkonferenzen auch visuell untermalen wollen. Die Revolution wird hierbei die rechen- und datenintensive Echtzeitkomponente sein. Man stelle sich einmal einen mobilen Video-Anruf zwischen einem mexikanischen und einem chinesischen Geschäftsmann vor. Beide beherrschen jeweils nicht die Sprache ihres Gegenüber, sprechen also in ihrer Landessprache in die mobilen Endgeräte. Die Spracherkennung sowie das Übersetzungsprogramm von google übersetzen den Dialog in Echtzeit. Diese Vision stellte der google-Chef in Barcelona in Aussicht und sein Team präsentierte beeindruckende Beispiele einer sprachbasierten Suche und mobiler Bilderkennung. Zudem wird sich langfristig die Kommunikation komplett auf internetbasierte Standards verlagern. Verizon versucht dies zwar aktuell noch zu unterbinden, indem auf dem MWC gemeinsam mit Skype eine Chat- und Telefoniesoftware vorgestellt wurde, die Peer-to-Peer ausschließlich eine Kommunikation über das Verizon-Netz und nicht über VoIP z.B. via WiFi-Hotspots erlaubt. Andere Netzbetreiber versuchen die Skype-Nutzung derzeit noch ganz zu unterdrücken oder kassieren dafür teure Zusatzgebühren. Dies wird sich ändern.
8. Landkarten werden mobil und unsere Umgebung transparenter
Landkarten und Navigation werden zu einer kostenlosen Standardanwendung auf dem Handy. Google maps oder Openstreetmap haben es vorgemacht und Nokia maps ist vor wenigen Wochen nachgezogen. Kostspielige Navigations-Software oder -Endgeräte wie der TomTom werden schon bald der Vergangenheit angehören. Navigieren mit dem Handy wird zum Alltag. Entwickler werden in ihre Applikationen verstärkt Landkarten und positionsrelevante Daten einbauen und die Nutzer werden wie selbstverständlich ihren Standort preisgeben. Die daraus entstehenden Anwendungsszenarien einer kompletten digitalen Abbildung der uns umgebenden Realität sind unerschöpflich. Diese sogenannte „augmented reality“ wird uns auf dem mobilen Endgerät in 3D anzeigen, wo wird sind, welche Gebäude uns gerade umgeben, ob Freunde in der Nähe sind oder welcher Laden um die Ecke gerade unser Lieblingsprodukt im Angebot hat.
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